Wenn wir hochmotiviert an einem sonnigen, aber nicht zu sonnigen Morgen aufwachen und spüren unsere Beine nicht mehr, dann stecken wir in ernsthaften, weil vielleicht lebensverändernden, Schwierigkeiten.
Das ist mir noch nicht passiert. Ich bin ‚native‘, das heißt von Geburt an querschnittsgelähmt. Was mir aber schon passiert ist, dass ich beim Betreten des Badezimmers unwillkürlich an einen Hitchcock-Film erinnert war – alles rot: „Was zum Henker… da hat sich wohl jemand eine größere Schramme zugezogen.“. Wohlwissend, dass zu diesem Zeitpunkt nur einer das Badezimmer nutzte.
Ständige Memo an mich selbst: Eine Verletzung des Rückenmarkes hat über die Folgen für die Beweglichkeit der betroffenen Körperregionen hinaus auch Folgen für das Vermögen der Haut, Temperaturunterschiede oder Berührungen wahrzunehmen. So geringfügig ein Verlust dieser Wahrnehmungen gegenüber einem Verlust der Bewegungsmöglichkeit vielleicht erscheinen mag, er ist gravierend. Stellt euch vor, ihr schneidet Brot und merkt eure Verletzung erst, wenn ihr euch am Kopf kratzen wollt oder ihr merkt erst Stunden, nachdem ihr beim Strandspaziergang in eine Glasscherbe getreten seid, dass das Cocktailglas noch steckt. Daraus können – allen Spaß bei Seite – ernsthafte gesundheitliche Risiken entstehen.
Seit Kindesbeinen kenne ich zwar diese Situation, ohne mich allerdings jemals richtig daran gewöhnen zu können, weil auch die Risiken im Alltag teils unberechenbar bleiben. Damals haben meine Eltern sehr darauf geachtet, dass ich einen aktiven Lebenswandel führe: toben, klettern… Abenteuer halt. Und jeder Abenteurer muss an einigen wenigen Punkten erkennen, dass das Abenteuer für heute beendet ist. Abenteuerlustig, wie ich schon seit meiner verwegenen Kindheit und Jugend war und viel mit meinen Freunden und meinen beiden Geschwistern die Welt erkundete, ging dabei manchmal ein freiwilliges Abenteuer in ein unfreiwilliges anderes Abenteuer über.
Denn, wenn ich mir unbemerkt tiefere Wunden zugezogen hatte, führte das zu langen Ausfallzeiten im Kindergarten und später in der Schule.
Mit allen Folgen für die Laune und die Schulleistungen eines jungen Abenteurers, der von ‚seiner Crew‘ getrennt war. Ihr müsst dazu wissen, dass ich, Jahrgang 1983, erst einen regulären Kindergarten, später eine reguläre Schule besuchte. Das brachte, bei allen sozialen und pädagogischen Vorteilen, eine Vielzahl baulicher Behinderungen mit sich, die nicht mit einer strikten Wundversorgung bei ärztlich verordneter Nicht-Belastung der Wunde kompatibel waren. Zudem heilen Wunden betroffener Körperregionen nur sehr langsam, da auch die Durchblutung betroffener Körperteile eingeschränkter ist. Ich weiß noch, wie ungeduldig ich als Kind in diesen Wochen der Wundheilung war, weil ich stets dabei sein wollte, wenn draußen der Bär steppte.
Heute bin ich geduldiger… meistens… die Risiken bei meinem aktiven Lebenswandel, auch und gerade als Leistungssportler, und die Folgen sind aber die gleichen geblieben. Gut tut man in so einer Situation daran, schon als junger Mensch zu lernen, mit diesem ‚Feature‘ seines Körpers umzugehen. Achtsam wie ein Fußgänger, nur eben mit den Augen.
Aktuell ging bei mir die pandemiebedingte, kurzfristige Schließung der Sportstätten in das mehrmonatige Ausheilen einer tiefen Wunde durch einen drückenden Lackschuh – Tänzer eben – ineinander fließend über. Da hilft nur eines: Viel Geduld, eine Priese Köpfchen und ein Gespür für das, was gesund ist und schnell wieder zurück auf das Parkett führt. Ganz genau, wie in der gegenwertigen Pandemiesituation eben. Letzte Woche habe ich bereits vorsichtig das Training aufgenommen, mit Geduld, einer Prise Köpfchen und einer guten Portion Gespür.
